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Als Eltern, Erzieher oder Lehrkräfte stellen wir uns täglich die Frage: Wie können wir Kinder optimal unterstützen? Meist fokussieren wir uns dabei auf Probleme – was tun, wenn ein Kind aggressiv ist, sich zurückzieht oder lernt? Das Salutogenese Modell, von Aaron Antonovsky begründet, dreht diese Perspektive radikal um. Es ist ein Kompass, der uns hilft zu verstehen, was Menschen – und ganz besonders Kinder – im Kern gesund erhält, statt nur zu fragen, was sie krank macht.
Warum wir umdenken müssen: Von der Pathogenese zur Salutogenese
Unser traditionelles medizinisches Denken ist tief von der Pathogenese geprägt. Dieses Modell fragt: „Was ist die Ursache dieser Krankheit?“ (griech. pathos = Leiden). Es ist ein defizitorientiertes Modell, das nach Risikofaktoren, Symptomen und deren Beseitigung sucht.
Antonovskys Revolution: Was erhält uns gesund?
Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky stellte in den 1970er Jahren eine revolutionäre Gegenfrage: „Was ist der Ursprung von Gesundheit?“ (lat. salus = Gesundheit, griech. genese = Entstehung). Sein Salutogenese Modell ist ressourcenorientiert.

Die Inspiration dazu fand er in Studien mit Überlebenden von Konzentrationslagern. Er war fasziniert davon, warum ein Teil dieser Menschen trotz der unvorstellbaren traumatischen Erlebnisse physisch und psychisch relativ gesund bleiben konnte. Seine Antwort: Sie besaßen ein starkes inneres „Gesundheitspotenzial“.
Das Salutogenese Modell einfach erklärt: Der „Fluss des Lebens“
Antonovsky sah Gesundheit nicht als einen Zustand (entweder „gesund“ oder „krank“), sondern als ein dynamisches Kontinuum. Er nannte dies das „Health-Ease/Dis-Ease-Kontinuum“. Niemand ist 100% gesund oder 100% krank.
Stellen Sie sich das Leben als einen reißenden Fluss vor. Dieser Fluss ist voller Stressoren – das sind die „Steine“ im Wasser. Das können große Felsen sein (traumatische Erlebnisse, Schicksalsschläge) oder kleine, spitze Kiesel (Alltagsärger, Lärm, Druck).

- Die pathogenetische Sicht würde fragen: „Wie können wir all diese Steine aus dem Fluss entfernen?“ (Ein unmögliches Unterfangen).
- Die salutogenetische Sicht fragt: „Wie wird man ein guter Schwimmer?“
Was also macht einen „guten Schwimmer“ aus? Antonovsky nannte diese Fähigkeit das Kohärenzgefühl.
Der Schlüssel zur Gesundheit: Das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence, SOC)
Das Kohärenzgefühl (oder „Stimmigkeitsgefühl“) ist die zentrale Säule im Salutogenese Modell. Es ist eine tief verwurzelte Lebenseinstellung, eine Art innerer Kompass, der uns hilft, die Welt und unsere Rolle darin zu verstehen. Es besteht aus drei untrennbaren Komponenten:

Säule 1: Verstehbarkeit (Comprehensibility)
Dies ist die kognitive Komponente. Ein Mensch mit hoher Verstehbarkeit erwartet, dass die Reize und Anforderungen (die „Steine“ im Fluss) geordnet, erklärbar und strukturiert sind – und nicht chaotisch oder willkürlich.
- Hohe Verstehbarkeit: „Ich verstehe die Situation. Ich sehe ein Muster und kann einordnen, was passiert.“
- Niedrige Verstehbarkeit: „Die Welt ist ungerecht und chaotisch. Ich verstehe nie, warum mir das passiert.“
Säule 2: Handhabbarkeit (Manageability)
Dies ist die praktisch-emotionale Komponente. Es ist die Überzeugung, über die notwendigen Ressourcen zu verfügen, um die Anforderungen des Lebens zu bewältigen. Es geht nicht darum, alles allein schaffen zu müssen!
- Hohe Handhabbarkeit: „Das ist schwierig, aber ich weiß, wie ich damit umgehen kann. Ich habe schon Ähnliches geschafft, oder ich weiß, wen ich um Hilfe bitten kann (z.B. Freunde, Therapeuten, Kollegen).“
- Niedrige Handhabbarkeit: „Ich bin ein Opfer der Umstände. Ich bin hilflos und habe keine Kontrolle.“
Säule 3: Bedeutsamkeit oder Sinnhaftigkeit (Meaningfulness)
Dies ist die motivationale Komponente und laut Antonovsky die wichtigste Komponente im Salutogenese Modell. Es ist das Gefühl, dass das Leben und die Herausforderungen, denen man begegnet, einen Sinn haben. Es ist das „Wofür?“
- Hohe Bedeutsamkeit: „Es lohnt sich, mich für diese Sache anzustrengen. Mein Leben hat einen Sinn, und diese Herausforderung ist es wert, gemeistert zu werden.“
- Niedrige Bedeutsamkeit: „Es ist mir eigentlich egal. Nichts hat wirklich einen Wert. Warum sollte ich mich überhaupt anstrengen?“
Ein starkes Kohärenzgefühl sorgt dafür, dass wir Stressoren nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung sehen, die wir verstehen, handhaben können und die es wert ist, angegangen zu werden.
Mehr als nur das SOC: Die Allgemeinen Widerstandsressourcen (AWR)
Woher kommt das Gefühl der Handhabbarkeit? Aus den sogenannten Allgemeinen Widerstandsressourcen (General Resistance Resources, GRRs). Das ist der „Werkzeugkoffer“, auf den wir im Leben zurückgreifen können. Je mehr Ressourcen ein Kind entwickelt, desto stärker wird sein Kohärenzgefühl.

Antonovsky unterscheidet verschiedene Arten von Ressourcen:
- Innere (psychische) Ressourcen: Selbstwertgefühl, Intelligenz, Optimismus, Wissen, Problemlösefähigkeiten, Humor.
- Körperliche Ressourcen: Ein stabiles Immunsystem, körperliche Fitness.
- Äußere (soziale) Ressourcen: Stabile soziale Bindungen (der wichtigste Faktor!), Freunde, Familie, finanzielle Sicherheit, ein unterstützendes Umfeld (Kita, Schule).
- Kulturelle Ressourcen: Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, Werte, Glaube.
Praxisbeispiele: Salutogenese im Alltag von Kindern fördern
Das Salutogenese Modell ist kein Therapiekonzept, sondern eine Haltung. Für Eltern und Pädagogen ist es ein unglaublich wertvoller Leitfaden. Wie stärken wir das Kohärenzgefühl von Kindern konkret?
Beispiel Verstehbarkeit: Klare Regeln und Rituale
Kinder brauchen eine vorhersagbare Welt, um sie als „verstehbar“ zu erleben. Chaos und Willkür erzeugen Stress.
- Rituale: Feste Rituale beim Zubettgehen, beim Essen oder beim Abschied in der Kita geben dem Tag eine verlässliche Struktur.
- Visuelle Pläne: Ein einfacher Tages- oder Wochenplan mit Piktogrammen hilft Kindern zu verstehen, was als Nächstes passiert.
- Übergänge ankündigen: Statt ein Kind abrupt aus dem Spiel zu reißen: „In fünf Minuten räumen wir auf, um Hände zu waschen.“
- Einfache Erklärungen: „Wir halten an der Straße an, weil die Autos schnell und gefährlich sind.“ (Statt: „Halt!“).

Beispiel Handhabbarkeit: Probleme in kleine Schritte zerlegen
Handhabbarkeit ist erlernte Selbstwirksamkeit. Wir stärken sie nicht, indem wir Kindern Probleme abnehmen, sondern indem wir sie befähigen, sie selbst zu lösen.
- Ressourcen aufzeigen: Statt „Zieh dich jetzt an!“ besser: „Wo ist dein blauer Pullover? Super. Was kommt als Nächstes? Die Socken? Okay, wo sind die?“ Das Kind erlebt sich als kompetent.
- Lösungsorientierte Fragen: Wenn ein Turm umfällt: „Oh je, das ist ärgerlich. Was hast du letztes Mal gemacht, damit er so hoch wurde? Was könntest du jetzt probieren?“
- Hilfe holen als Kompetenz: Vermitteln Sie, dass es stark ist, um Hilfe zu bitten. „Ich sehe, du schaffst das mit dem Reißverschluss nicht allein. Komm, wir machen es zusammen, oder fragst du Papa?“

Beispiel Bedeutsamkeit: Verantwortung und Teilhabe
Sinn erleben Kinder, wenn sie sich als wichtiger, wertvoller und beitragender Teil einer Gemeinschaft fühlen.
- Echte Aufgaben: Geben Sie Kindern altersgerechte, echte Verantwortung. Den Tisch mitdecken, die Blumen gießen, dem kleinen Bruder ein Buch „vorlesen“. Das Signal: „Du wirst gebraucht.“
- Interessen würdigen: Das Kind sammelt Stöcke? „Wow, was für eine tolle Sammlung! Wollen wir eine Kiste dafür bauen?“ (Statt: „Lass den Dreck draußen.“). Das Interesse des Kindes wird als sinnvoll anerkannt.
- Lernen mit Sinn füllen: Den Sinn von Regeln oder Lernen erklären: „Wir lernen Buchstaben, damit du bald Oma eine Karte schreiben kannst.“

Salutogenese, Resilienz & Logotherapie: Wo liegen die Unterschiede?
Diese drei Konzepte werden oft vermischt, da sie eng verwandt sind.
- Salutogenese: Ist das übergeordnete Modell oder der Prozess, der erklärt, wie Gesundheit auf einem Kontinuum entsteht (durch SOC und AWR).
- Resilienz: Ist oft das Ergebnis dieses Prozesses. Es ist die psychische Widerstandsfähigkeit – die Fähigkeit, nach Krisen wieder „aufzustehen“. Die „Schutzfaktoren“ der Resilienzforschung (z.B. Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung) sind quasi identisch mit Antonovskys „Widerstandsressourcen“.
- Logotherapie (Viktor Frankl): Ist eine Therapieform, die sich auf die Sinnfindung spezialisiert. Man könnte sagen, die Logotherapie ist der „Motor“ für die wichtigste Säule der Salutogenese (Bedeutsamkeit). Frankl und Antonovsky kamen durch ähnliche Lebenserfahrungen (Holocaust-Kontext) zu ähnlichen Schlüssen: Der Sinn ist der stärkste Schutzfaktor des Menschen.
Fazit: Ein starker Kompass für Eltern und Pädagogen
Das Salutogenese Modell bedeutet einen Perspektivwechsel: Weg vom Defizit, hin zur Ressource. Es erinnert uns daran, dass stabile, liebevolle Beziehungen die wichtigste aller Widerstandsressourcen sind. Studien (z.B. die Kauai-Studie von Emmy Werner) zeigten immer wieder, dass Kinder selbst aus schwierigsten Verhältnissen gesund hervorgingen, wenn sie nur eine stabile, wohlwollende Bezugsperson hatten.

Wenn wir Kinder durch diese „salutogenetische Brille“ sehen – wenn wir ihre Welt verstehbar machen, ihre Handhabbarkeit stärken und ihnen Sinn vermitteln – geben wir ihnen den besten Kompass für den „Fluss des Lebens“ mit auf den Weg.
Weiterführende Quellen
- https://www.bug-nrw.de/fileadmin/web/pdf/entwicklung/Antonowski.pdf
- Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. (Deutsche erweiterte Herausgabe von A. Franke). Tübingen: dgvt-Verlag.
- Werner, E. E., & Smith, R. S. (2001). Journeys from Childhood to Midlife: Risk, Resilience, and Recovery. Ithaca, NY: Cornell University Press. (Bezug zur Kauai-Studie)
- Frankl, V. E. (2009). …trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Kösel-Verlag.

